Am 16.10.2019 hatte das Arbeitsgericht Berlin über verschiedene Abmahnungen eines Arbeitgebers zu entscheiden, die dem Arbeitnehmer ausgesprochen wurden, weil dieser sich weigerte das zwischenzeitlich vom Arbeitgeber eingeführte Zeiterfassungssystem „ZEUS“ zu nutzen.
Sachverhalt (stark verkürzt):
Der Kläger war bei der Beklagten seit 01.06.07 angestellt. Zum 01.08.18 stellte die Beklagte ihr Zeiterfassungssystem auf das System „ZEUS“ (IT8200 FE) um. Bis zur Einführung trugen die Arbeitnehmer der Beklagten ihre geleistete Arbeitszeit sowie die Einsatzwunschzeiten per Hand in von der Beklagten bereit gestellten Zeiterfassungsbögen ein.
Am 01.08.18 stellte die Beklagte ihr Zeiterfassungssystem um und informierte sämtliche Arbeitnehmer per Mail am 27.07.18 über die Funktionsweise. In der Rundmail war folgender Hinweis enthalten:
„Ab 01.08.18 gelten ausschließlich die mittels Zeiterfassung ermittelten Arbeitszeiten – alles was schriftlich im Dienstplan notiert wird, wird nicht mehr anerkannt. …“
Im mit überreichten Datenblatt des Zeiterfassungssystems wurde unter anderem ausgeführt:
„Innerhalb des IT8200 FE befindet sich nur eine Record-Nummer und die dazugehörigen Minutien. Ein Bezug zu einer natürlichen Person kann nicht hergestellt werden.“
Der Kläger weigerte sich das System zu nutzen und erteilte auch keine Einwilligung, woraufhin die Beklagte dem Kläger am 05.10.18 und 26.03.19 zwei Abmahnungen aussprach.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Abmahnungen vom 05.10.18 und 26.03.19 waren rechtswidrig und mussten aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Der Kläger war nicht verpflichtet das Zeiterfassungssystem zu nutzen. Eine digitale Zeiterfassung ist mittlerweile die Regel, mit der verhindert werden soll, dass Kollegen des Arbeitnehmers für diesen mitstempeln. Bei einer Zeiterfassung mittels Fingerprint meldet sich der Mitarbeiter durch Abgleich seines Fingerabdrucks mit den im Zeiterfassungsterminal gespeicherten Daten im Zeiterfassungsprogramm an und ab. Zu diesem Zweck sind in der Datenbank des Zeiterfassungssystems sog. Minutien (individuelle, nicht vererbbare Fingerlinienverzweigungen) hinterlegt. Nicht gespeichert wird grundsätzlich der Fingerabdruck des Mitarbeiters. Mit dem Datensatz kann der Fingerabdruck des Mitarbeiters auch nicht wiederhergestellt werden.
Dennoch handele es sich bei dem Datensatz um biometrische Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO bzw. § 26 Abs. 3 BDSG. Die Archivierung dieser Daten verletzen die Privatsphäre des Mitarbeiters und damit sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung in besonderem Maße. Die Archivierung dieser Datensätze ist deshalb grundsätzlich verboten, sofern kein Erlaubnistatbestand gemäß Art. 9 Abs. 2 DSGVO einschlägig ist.
Da weder eine kollektivrechtliche Vereinbarung noch eine Einwilligung des Klägers zur Erhebung seiner biometrischen Daten vorlagen, war fraglich, ob die Erhebung der biometrischen Daten des Klägers erforderlich war, um den Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses zu dienen, damit der verantwortliche Arbeitgeber den ihm aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und Sozialschutzes erwachsenden Rechte und Pflichten nachkommen kann.
Das ist nur dann der Fall, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person (also des Klägers) an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt.
Hierzu stellte das Arbeitsgericht Berlin fest, dass biometrischen Merkmale eines beschäftigen vom Arbeitgeber nach § 26 Abs. 3 BDSG nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn dies für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist.
Hierzu müssen wir dann – so das Arbeitsgericht Berlin – drei Voraussetzungen erfüllt werden:
Das biometrische Verfahren muss für die Zwecke des Beschäftigungsfeldes geeignet sein, mithin jeweils auf das Beschäftigungswertes bezogene Zwecke müssen tatsächlich gefördert werden können.
Es darf kein anderes, gleich wirksames, das Persönlichkeitsrecht weniger beeinträchtigendes Mittel existieren.
Als Ergebnis einer umfassenden Abwägung der schutzwürdigen Interessen und Grundrechte des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers muss die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des beschäftigen durch das biometrische Verfahren einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck der Datenverwendung stehen. Je intensiver das Persönlichkeitsrecht eingegriffen werden soll, desto schwerer muss der vom Arbeitgeber mit dem Verfahren verfolgte konkrete Zweck wiegen.
In seiner Abwägung stellte das Arbeitsgericht Berlin fest, dass nicht von einer Erforderlichkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 2 DSGVO auszugehen sei.
Zur Begründung führt das Arbeitsgericht Berlin aus, dass sich auf der dritten Stufe im Rahmen der Interessenabwägung nicht ergebe, dass die Interessen des Arbeitgebers ein „Falschstempeln“ zu verhindern dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers überwiege. Dies unter anderem auch deswegen, weil die Beklagte im zugrunde liegenden Rechtsstreit nicht einmal vorgetragen hat, dass es in der Vergangenheit zu erheblichen „Falschstempeln“ gekommen ist.
Fazit:
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin zeigt, dass der Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis – zu Recht – immer mehr in den Fokus rückt.
Für Arbeitgeber wird deutlich, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des BDSG und der DSGVO ernst zu nehmen sind und eine genaue rechtliche Prüfung angezeigt ist.
Für Arbeitnehmer wird deutlich, dass sich in jedem Fall eine genaue rechtliche Überprüfung der Datenverarbeitungsprozesse im Betrieb ihres Arbeitgebers lohnt. Letztlich wird die Rechtmäßigkeit einer Datenerhebung anhand einer Einzelfallabwägung (Ziffer 3 – oben) vorgenommen.
ArbG Berlin vom 16.10.2019, 29 Ca 5451/19